An einem Stall, an dem ich mindestens einmal in der Woche unterrichte, werde ich von einer Pferdebesitzerin um Rat gebeten: Ihr erst vor kurzem gekauftes Pferd reißt sich los und wird zum Teil auch aggressiv. Die Besitzerin hat schon mehrere Bisse und Tritte einstecken müssen. Eine andere Einstellerin, die das Pferd schon seit Jahren kennt, erzählt mir, dass er das schon seit mehreren Jahren so macht. Die Besitzerin weiß sich langsam nicht mehr zu helfen und die Zeit, die man in Harmonie mit dem Pferd verbringen möchte, wird zur Belastung. Schon nach kurzer Zeit wird mir das Problem klar und jedes Mal faszinieren mich genau diese Art Problempferde aufs Neue und sie sind auch die, von denen ich am meisten lernen durfte. Warum mein Herz besonders für diese Pferde schlägt, möchte ich dir heute erzählen.

Problempferd, nicht händelbar, dominant, Arschloch, streitsüchtig – diese Begriffe und viele mehr begegnen uns leider nicht sehr selten und sind vielleicht sogar ein bisschen im Trend aktuell. In meiner täglichen Arbeit mit den sogenannten Problempferden sehe ich ganz verschiedene Erscheinungsbilder der Problempferd. Die erste große Differenzierung, die man machen kann ist die Folgende: Ein traumatisiertes Pferd und ein Pferd mit Verhaltensproblemen. Mir geht es heute vor allem um die nicht händelbaren, vielleicht sogar aggressiven Problempferde.

Was ist denn nun ein Problempferd?

Ich würde jetzt gerne antworten: Nicht das Pferd hat das Problem, sondern der Mensch. Aber das ist wirklich nur die halbe Wahrheit.

Allgemein wird ein Pferd immer dann als Problempferd bezeichnet, wenn der Alltag, den sich der Mensch mit seinem Pferd vorstellt, nicht ohne große Hindernisse bewältigt werden kann. Jemand der auf Turniere fahren möchte, dessen Pferd aber nicht auf den Anhänger geht oder auf dem Turnierplatz durchdreht, kann ein Problempferd sein. Derjenige, der nur gemütlich ausreiten will, dessen Pferd aber immer wieder durchgeht oder sich losreißt, hat auch ein Problempferd. DU siehst, es kommt ganz auf die Perspektive an. Besonders problematisch wird es, wenn die kleinsten alltäglichen Dinge nicht mehr gefahrlos von Statten gehen können, wie das führen zur Weide oder das füttern. Dabei sind die aggressiven Pferde, wohl die gefährlichsten. Und genau um diese Pferde soll es heute besonders gehen.

Das nicht mehr händelbare Pferd

In meinem Verständnis können wir ein Pferd als nicht mehr händelbar bezeichnen, wenn der grundlegende Alltag abseits des Trainings nicht mehr gefahrlos funktioniert. Pferde, die sich losreißen, beißen, treten oder sogar gezielt angreifen, werden sehr schnell zu einem Problem für die Besitzer und Stallbetreiber.

In der traditionellen Händelung von Pferden wird meistens mit eskalierendem Druck oder sogar mit Gewalt und Strafe gearbeitet. Lass uns mal gemeinsam eine Reise durch die Grunderziehung von jungen Pferden machen:

Das Fohlen oder Jungpferd lernt am Halfter geführt zu werden. So lange es brav neben dem Menschen läuft, passiert rein gar nichts oder es wird gelobt. Versucht es einen anderen Weg einzuschlagen wird am Halfter geruppt, gemeckert und wenn es dann nicht funktioniert irgendwann auch mal ein Klaps gegeben. Nach der Jungpferdewiese wird es aufgestallt und steht von nun an 24/7 dem Reiter zur Verfügung. Dieser kommt, putzt, legt Ausrüstung an, lässt das Pferd weichen. Denn wer weicht, ist der Schwächere. Die Talente werden beurteilt (oder auch nicht) und die Ausbildung beginnt nach Gusto des Besitzers.

Ich hab da einen etwas bitteren Beigeschmack, du auch?

Das Pferd wird willenlos gemacht. In gewisser Weise ist es sogar verständlich. Menschen lieben die Kontrolle und ein 500kg schweres Lebewesen mit eigenem Willen kann sehr beängstigend sein. Außerdem haben Menschen grundsätzlich wenig Zeit und wir alle wachsen in einer Leistungsgesellschaft auf. Da lassen sich auch diese Ansprüche an den Partner Pferd nicht vermeiden.

Viele Pferde kommen in dem System ganz gut klar. Aber es gibt einige, die das nicht tun. Sie haben einen starken eigenen Kopf und auch viel Selbstbewusstsein. Diese Pferde stehen metaphorisch gesprochen irgendwann an einer Weggabelung:

Der Druck und die Gewalt hat immer weiter zugenommen in der Ausbildung, da sie sich nicht unterordnen wollen. Irgendwann ist dann der Zeitpunkt gekommen, wo das Pferd entscheidet, sich dem System zu ergeben oder noch einen drauf zu setzen und sich zu wehren. Entscheidet es sich für das letztere ist ein sogenanntes Problempferd geboren. Dagegen ist genau dieser Moment, diese Entscheidung, der Grund, warum mich diese Pferde so faszinieren.

Problempferd oder Freigeist

In meiner Erfahrung sind diese Pferde hochintelligent, sehr sensibel, sehr selbstbewusst und extrem meinungs-stark.

Und diese Pferde lehnen sich gegen die Traditionen und das System der Pferdeausbildung auf ohne Angst vor den Konsequenzen oder in dem Bewusstsein, dass sie körperlich stärker sind. Es sind Freigeister. Sie beugen sich nicht. Sie wollen respektiert, gesehen und gehört werden.

Und das ist was ich so sehr an ihnen liebe.

Aber auch was uns Menschen vor Herausforderungen stellt und einen unendlich großen Raum eröffnet uns selber zu erfahren und weiter zu entwickeln.

Wie begegnet man solch einem Freigeist?

Fällt die Entscheidung darauf, den bekannten Weg weiter zu gehen bleibt nur eine Option: Irgendwann muss so viel Gewalt angewendet werden, dass das Pferd seinen Platz begreift und aufgibt.

Bei dem Gedanken bekomme ich jedenfalls Gänsehaut. Ist es nicht gerade die Freiheit, Kraft und Stärke in die wir uns als kleine Kinder verliebt haben. Möchtest du außerdem einen Partner, der nur bei dir ist, weil er Angst vor der Gewalt hat? Ich möchte das nicht. Denn so funktionieren keine Beziehungen – keine guten zumindest.

Es gibt andere Wege und sicher nicht nur einen.

Diese Pferde haben oft jahrelang erfahren, dass wir Menschen übergriffig sind und nicht fähig zu kommunizieren. Oft haben sie das Vertrauen verloren, dass wir uns ändern können. Aus diesem Grund halten sich uns von vorne herein auf Abstand. Sie gehen auf Nummer sicher, dass wir direkt verstehen, dass wir nicht so mit ihnen umgehen können, wie es normalerweise passiert – und wenn nötig machen sie das sehr nachdrücklich klar.

Das bedeutet, dass wir in der Beweispflicht sind.

Welcher Weg für dich der Richtige ist, kommt ganz auf dich und dein Pferd an. Aber an dieser Stelle möchte ich sagen: bringt euch NIE unnötig in Gefahr. Man sollte mit aggressiven Pferden immer in einem geschützten Raum arbeiten. Ich arbeite zu Beginn ausnahmslos mit einem Zaun zwischen mir und dem Pferd.

Es gibt viele wundervolle Trainer, die Wege mit Problempferden aufgezeigt haben. Monty Roberts, Pat Parelli und viele Horsemanship Trainer sind unheimlich erfolgreich. Ich möchte mich aber von diesen Arbeitsweisen distanzieren, da sie für meinen Geschmack mit zu viel psychischem Druck arbeiten. Mark Rashid zum Beispiel, arbeitet dagegen mit einer Methode, die dem Pferd deutlich mehr Entscheidungsfreiheit gewährt und mich hat er damit in meiner Anfangszeit sehr inspiriert.

Ich persönlich habe meinen authentischsten Weg mit Empowerment gefunden.

Was ist Empowerment?

Kurz gesagt ist Empowerment, die Befähigung Situationen in angemessener Weise selber lösen zu können. Es werden nach und nach immer mehr Skills erarbeitet, die sowohl dem Pferd, als auch dem Menschen ermöglichen eigene Grenzen, Bedürfnisse und Wünsche zu kommunizieren und zu respektieren. Zentral ist dabei das Erarbeiten einer feinen Kommunikation und tiefem Vertrauen. Denn wenn die Pferde lernen, dass wir ihnen zuhören, ihre Grenzen respektieren und sie auch eigene Ideen mit einbringen können, habe sie kein Grund mehr uns aggressiv zu behandeln. Stell dir einfach vor, du bist in einer Beziehung, in der dir dein Partner nie zuhört und selten deine Bedürfnisse wahr nimmt. Irgendwann würdest du auch schreien – und darum werden diese Pferde aggressiv.

Dabei ist die Lösung immer individuell und muss auch an die äußeren Umstände angepasst werden. Ich habe mich damals bei meinem ersten Freigeist, meiner Bella, entschieden, ihr vollständige Autonomie zu gewähren und eine Haltung gewählt, in der sie keinen direkten Kontakt mit dem Menschen hatte und ihre Grundbedürfnisse auch nicht von diesem abhängig waren. Die Möglichkeit hast du vielleicht nicht und das ist auch nicht schlimm.

Was ich mir wünsche:

Lass uns diese Pferde bewundern – für ihren Mut, ihre Stärke und ihren unbeugsamen Willen

und ihnen helfen genau das auch zu Leben!